Der Zeit voraus

hl-studios gehört Innovatoren der VR-Foto-Video-Szene. Stefan Steib hat das Unternehmen in Erlangen besucht.

Zu sehen ist eine Webseite von Siemens Medizintechnik, genauer: Produktshots mit Modellen für die Großmedizintechnik, Röntgengeräte der neuesten Generation. Es gibt auch ein Produktvideo in HD-Auflösung. Dort zeigen Modelle die Bedienung der Geräte in modernsten Klinikräumen. Patienten liegen darauf, werden von einem Messfeld erfasst, dreidimensionale Kamerafahrten zeigen die Funktionen. Wer so etwas als Foto und Video für Großkunden produziert hat, der weiß wie viel Arbeit dahintersteckt. Aufbauen, Hintergründe bauen, Prototypen wenigstens scheinbar zum Funktionieren bringen.

Ein junges Team bei hl-studios verwirklicht auch anspruchsvollste Projekte. So verbreitet sich dieses Hightech-Wissen und stärkt den Produktionsstandort Deutschland.

Hinter den Bildern auf der Webseite steckt ebenfalls präzise Arbeit – aber die gezeigte Maschine gibt es zum Drehzeitpunkt noch gar nicht. Die Modelle, die Liege und die Bedienelemente stehen auf einem grünen Hintergrund. Die Kamera filmt die Models, und im Hintergrund wird live die VR-Umgebung aus CGI-Daten gerendert. Und dies in nahezu beliebiger Auflösung. Bei den Fotos geht das mit Phase-One-Rückteilen, für Videos mit High-End-Profikameras, Auflösung 4K oder mehr.

Live-Demo

Ich bin im Rahmen eines PIC-Workshops zusammen mit 50 staunenden Profifotografen Gast einer Live-Demo im Erlanger Produktionsstudio von hl-studios, wo seit drei Jahren eine neue Technologie angewandt und stetig weiterentwickelt wird – das Hybrid Studio.

Produktionsumgebung Hybrid Studio beim Multix Projekt, die Computerkommandozentrale hat sowohl die Monitore als auch die reale Szene im Blickfeld.

Die hl-studios sind seit 1991 und heute mit über 120 Mitarbeitern in Erlangen und Berlin eine der führenden Agenturen für Industriekommunikation in Deutschland. Neben den üblichen Bereichen wie PR, Konzeption, Print usw. war schon sehr früh eine weitere Spezialisierung für AR/VR, 3D/CGI, Apps und Touch-Applikationen, interaktive Messemodelle usw. ein wichtiger Teil des Portfolios. Daraus ergab sich dann ab 2015 mit der Entwicklung der eigenen Technologieplattform ein neuartiger Ansatz, wie aus großen CGI-Hollywoodproduktionen bekannt, aber eben durch überschaubare Technik und flexible Möglichkeiten – und nicht zu Millionenkosten.

Bei der Produktion taucht man schon während der Aufnahmen in eine virtuelle Welt ein, Licht, Details und Realitätsnähe sind so „live“ steuerbar. Produktionsschritte sind nicht mehr nur konventionell nacheinander durchführbar, sondern gleichzeitig: Dies verkürzt die Produktionszeit, verbessert die Effizienz und verringert die Kosten.

Im Laufe der Entwicklung haben sich sowohl die Hard- als auch die Softwareanforderungen verringert, heute benutzt das Hybrid-Studio-Team meist die 3D-Software Blender 5. Dabei handelt es sich um eine Open-Source-Software (Mac und PC kostenloser Download, komplette Demofiles verfügbar). Die Hardware-Anforderungen sind moderat, auch auf Standard-PCs kann man flüssig arbeiten. Der Vorteil der Lösung ist der leistungsfähige und realistische „Viewport“, genannt Eevee. Renderfarmen mit mehreren Rechnern sind somit überflüssig.

Überschaubarer Personalaufwand

Der personelle Aufwand bewegt sich nach einigen Jahren Erfahrung in überschaubaren Größenordnungen. Christian Bürger von hl-studios: „Für das Hybrid Studio im Fokus arbeiten aktuell drei Personen. Bei einer Produktion sind am Set rund zehn Leute (CGI-Artist, Hybrid Operator, Fotograf, Assistenten). In der Pre- und Postproduction stehen uns alle Ressourcen unserer Firma zur Verfügung, insbesondere die Abteilungen Foto, Film, CGI und Hybrid Production, sowie die Producing-Kapazitäten. D. h. an einem großen Projekt können bis zu 25 Leute beteiligt sein. Dies variiert aber natürlich je nach Projekt.

Entsprechend sind die Kosten auch unterschiedlich. Kleine Projekte, die vielleicht nur Standbilder benötigen, liegen im unteren fünfstelligen Euro-Bereich. Bei großen mehrtägigen Produktionen mit Bewegt- und Standbild kommen wir dann aber auch schon in den sechsstelligen Bereich.

Das Röntgensystem Multix war aktuell das letzte neue Projekt des Hybrid Studio. Auf der originalen Greenbox – ohne Einblendungen – erkennt man die Hilfsmittel zur Erzielung einer realistischen Körperhaltung, Muskelspannung usw.

Seit 2016 wurden zwölf große Kundenprojekte realisiert, davon alleine acht für Siemens – zuletzt Bewegt- und Standbilder für das neues Röntgensystem Multix. Aber natürlich auch Akquise-Projekte für neue Kunden. Sogar Imagefilme (Elektrobit) und Mode/Fashion zusammen mit dem Londoner Fotografen Benjamin Kaufmann sowie die Studie einer Modeproduktion für Laudert wurden im Hybrid Studio realisiert. Außerdem noch diverse eigene Projekte. Einige davon waren Tech-Demos, bei denen wir neue Funktionalitäten und Einsatzbereiche getestet haben.“

Know-how wird geteilt

Jürgen Hinterleithner verfolgt schon seit 2015 die Vision des Hybrid Studio. Und er hat noch viele neue Ideen, wie sich das weiterentwickeln soll.

Was die hl-studios auszeichnet: Sie pröbeln nicht geheim und hinter verschlossenen Türen an ihrem Projekt, sondern teilen ihr Know-how, laden Kollegen und Interessierte ein, sich das anzuschauen, sich auszutauschen und selbst zu erleben. So wurde 2018 zusammen mit Phase One eine Tour durch sechs Städte durchgeführt. Auf der photokina hielt Geschäftsführers Jürgen Hinterleithner im Rahmen der „digility“ einen Vortrag. Live aber, wenn man in Real­time sieht, wie die Realität vor den eigenen Augen erweitert wird, kann man die Vision des Hybrid Studio erst richtig verstehen. Der Erfolg dieses Konzeptes und das Wachstum des Unternehmens – der Standort Erlangen wird erweitert – zeigen, dass man auch in der heutigen Zeit der knappen Budgets und engen Produktionszeiten mit der richtigen Einstellung und dem passenden neuen Produkt neue Kunden und wachsende Umsätze erobern kann. Die Begeisterung spürt man auch bei den anderen Mitarbeitern, wie Wenzel Naumann, dem Leiter des Fotostudios: „Mit dem Hybrid Studio können wir in Echtzeit sehen, wie 3D und reales Bild zusammenspielen. Wir realisieren die Interaktion mit Produkten, die noch gar nicht real existent sind – und wir können an Locations ‚drehen‘, die aus Kostengründen nie infrage kämen.“

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