Webscout: Viral!

Eskapismus und Gespräche aus der „Corontäne“: Der Webscout wurde im Netz auf der Suche nach Kunst und Kurzweil in pandemischen Zeiten fündig.

Giovanni Caccamo: Dark Short Lives

Miniatur-Szenen zwischen Sex, Tod und Pandemie.

Als Regisseur realisiert er TV-Talk- und Musikshows, Kurzfilme sowie Corporate-Videos, als Fotograf Musik- und Theateraufnahmen sowie Reportagen über Themen wie Uhren, Käse- oder Schokoladeherstellung. All das scheint Giovanni Caccamo allerdings nicht auszulasten. Jenseits seiner kommerziellen Arbeiten beschäftigt sich der Absolvent der Kunstakademien von Catania, Florenz und Rom unter anderem mit Aktfotografie und Wolkenlandschaften. Noch besser gefallen uns aber die Miniaturszenen, die er mit Plastikpüppchen und anderen Requisiten inszeniert und abfotografiert. „Dark Short Lives“ (sic!) nennt er die Serie thematisch surrealer, aber explizit umgesetzter Szenen, die sich mit Sexualität, Religion, Tod und gesellschaftlichen Normen auseinandersetzen: Menschen, die sich auf Totenschädeln ausruhen, Kardinäle, die ihr Kreuz vor einem Tsunami aus rohem Fleisch hertragen, der Papst, der von einem Venushügel herabpredigt. Dazu immer wieder Kopulationsszenen, mal in fruchtigen oder floralen Settings, mal in explizit animalischen. Zuletzt und nur auf dem gleichnamigen Instagram-Account des Fotografen zu finden: düstere Miniaturszenen, die sich vor dem Hintergrund der auf der Halbinsel wütenden Pandemie mit Themen wie Eigenquarantäne, Infektionsgefahr und Tod „spielerisch“ auseinandersetzen.

rb.gy/mnm8lc


Tussen Kunst & Quarantaine

Alte-Meister-„Foto-Kopien“ aus dem Homeoffice: ein Instagram-Märchen.

Tussen Kunst & Quarantaine (deutsch: „Zwischen Kunst und Quarantäne“): So haben zwei Niederländerinnen ihren Instagram-Account überschrieben, auf dem sie Mitte März, als Reaktion auf die Eintönigkeit ihres Home-Office-Daseins, ihre Version von Jan Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ posteten. Zugleich forderten sie „alle, die zu Hause Erleichterung brauchen“ auf, ihrerseits hausgemachte Reinszenierungen hochzuladen. Motto: ein Gemälde, drei Objekte aus ihrem Haus. Die Idee ging schnell „viral“, der Instagram-Kanal zählte zu Redaktionsschluss knapp 150k Follower (darunter das Getty Museum in Los Angeles, das auf Basis der eigenen Sammlung via Twitter zu einer ähnlichen Aktion aufgerufen hat) und 500 Gemälde-Remakes. Darunter viele alte Meister und italienische Renaissance-Maler (natürlich auch Michelangelos Deckenfresko „Die Erschaffung Adams“), aber auch Klassiker der Moderne wie gewitzte Magritte-Verballhornungen, Frida-Kahlo-Lookalikes, liebevoll detaillierte Picasso-Nachbildungen oder Edvard Munchs „Schrei“, nachempfunden mit einer aufgeschnittenen Paprika.

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Instagram & Corona

Subjektive Momentaufnahmen: der soziale Bilderdienst und die Pandemie.

Was macht Corona mit Instagram bzw. umgekehrt? Viele Fotografen nutzen den Lockdown, um ihre Archive zu durchforsten und unveröffentlichte Bilder ans Tageslicht zu befördern. Andere, allen voran Italiener wie Gabriele Galimberti, lichten sich selbst oder ihre Mitmenschen in der Selbstisolation ab oder fotografieren – wie Jake Michaels – Promis in der Quarantäne. Paulina Hildesheim holt aktuelle Themen wie die Spargelstecherkrise ins Studio, und Alex Prager kommentiert den Lockdown unter dem Hashtag #saferathome mit makabrem „Zu Hause passieren die meisten Unfälle“-Sarkasmus. Viele Instagramer zeigen sich oder andere mit Mundschutz und promoten dabei einfach ihr Zeugs lustig weiter, andere verweisen, hinter der Maske hervorlugend, auf Peter Weibel. „Das Zeitalter der Nähe geht zu Ende“, behauptet der Kunst- und Medientheoretiker und Leiter des ZKM nämlich. Wir werten das mal als künstlerische Strategie und behaupten das Gegenteil, gemeinsam mit Maurizio Cattelan. Der italienische Künstler und Mitherausgeber des Fotomagazins „Toilet Paper“ (Achtung, Corona-Bezug) verabschiedet sich von der Instagram-Gemeinde mit einem allerletzten provokativen Single-Post – einer sonnenumfluteten Stinkefinger-Wolke – und ruft: „There is more to life than social media (…), my loves. Go and make something wonderful out of yours!“

Ausgerechnet Oliviero Toscani, bislang Instagram-Abstinenzler, hält dagegen. Der italienische „Skandal“- und Benetton-Fotograf ruft mit seinem Projekt „Autoritratti dalla quarantena“ (#olivierotoscanistudio) seine Insta-Fans dazu auf, ihm Selbstportraits aus der Quarantäne zu schicken. Und dann kommt uns, während wir diese Zeilen schreiben, noch das hier auf den Screen: Toscani startet ein Live-Video und spricht mit einem Kulturredakteur der RAI, unter anderem über Walt Disney. Toscani: „Die Figuren haben weder Unterhosen noch Sexualorgane – absurd!“ Unser Fazit: Instagram ist – gerade in „Corontäne“-Zeiten – nicht nur ein Stimmungs-Seismograf, sondern auch eine tolle Adresse für gepflegten Eskapismus.


Webscouts Lieblinge: stayathome.photography

Das Bild der anderen: visuelle Zwiegespräche zwischen „quarantänierten“ Fotografen aus aller Welt.

„Diese Website zeigt fotografische Gespräche zwischen selbstisolierten Fotografen“, heißt es im „About“ von stayathome.photography, einer von der Berliner Fotografin Yana Wernicke und dem Berliner Fotografen Jonas Feige gelaunchten Site. Eine tolle Idee. Zwei Dinge faszinieren beim Betrachten der visuellen Bilddialoge zwischen jeweils zwei Fotografen besonders. Erstens: Es braucht weder tolle Locations noch ausgefallene Sujets. Für visuelle Spannung reicht im Zweifel die eigene Hand, die Zimmerpflanze oder der Blick aus dem Fenster. Und zweitens: Bei aller Verschiedenheit nähern sich die Bildermacher in ihren Beiträgen einander an – formal, inhaltlich, ästhetisch. Ein echter Austausch eben, ein dialektischer Prozess, der über These und Gegenthese etwas Neues entstehen lässt. Die Idee trifft in der virusbedingten Vereinzelung offensichtlich auf offene Augen und Ohren – auch international. Zwar stellen Fotografen aus Deutschland die größte Fraktion, doch es gibt Teilnehmer aus Albanien, Australien, Bangladesch, China, Frankreich, Ghana, Libanon, Peru, Sri Lanka und aus dem De-Facto Staat Transnistrien. Die Resonanz habe sie überwältigt, versichern die beiden Macher, die bei stayathome.photography selbst mit von der Partie sind und das Registrierungsformular vorübergehend schließen mussten. Mit künstlerischen Dialogen kennen sich Wernicke und Feige übrigens aus: Die beiden Ostkreuzschule-Absolventen arbeiten seit einiger Zeit an einem gemeinsamen Projekt über den deutschen Botaniker Georg August Zenker.

stayathome.photography 

 


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