Portraitobjektive für Kenner

Stefan Steib setzt den digitalen Foto-Aromen der Generation Selfie optische Finesse und Erhabenheit entgegen. Und stellt eine Reihe von Objektiven vor, die Menschen schöner und Fotografen glücklich machen.

Das Bild des Menschen ist das subjektivste Fotosujet überhaupt. Gute Portraits kann man – im Prinzip – mit allen Objektiven schießen, vom Fisheye bis zum 1.200-mm-Spiegeltele. Es kommt nicht auf Gefälligkeit an, sondern darauf, den Menschen zu zeigen, wie er wirklich ist. Portraitobjektive, so wie ich sie hier vorstelle, sollen den Menschen zeigen, wie er gerne wäre: cremiger, glatter, hervorgehoben und doch markant. Diese Idee stammt noch aus der Zeit der Malerei des 19. Jahrhunderts, als die Portraitfotografie mit festgeklammerten Köpfen und sitzenden Menschen bei 30 Sekunden Belichtungszeit das gemalte Bild ersetzte, was damals zu einem erbitterten Streit zwischen Malern und „Photographen“, die sich auch Lichtbildner nannten, führte.

Fast alle diese Optiken, die ich hier herausgesucht habe, erfüllen den Anspruch, die Wirklichkeit schöner zu machen, als sie ist, weil sie schon dafür gebaut wurden. Die modernen Canon-Linsen, wie das RF 50mm f/1.2L USM , EF 85mm f/1.2L II USM  und das EF 200mm f/2L IS USM  mögen durch ihre Features wie Stabi, USM oder irgendwelche wetterfesten Bauweisen und Beschichtungen das etwas kaschieren (beim 200er ist ja auch der „Sport“ das postulierte Hauptziel), aber über den Umweg der Modefotografie, die der Tradition des Verschönerns kommerziell am nächsten ist, findet sich auch hier Gedankengut aus dem 19. Jahrhundert. Dabei sind diese modernen Objektive auch abgeblendet gnadenlos scharf, kontrastreich und farbgenau. Warum also sollten diese „Glasklötze“ (Ausnahme das moderne EOS RF mit der kurzen Schnittweite) für viel Geld den Bokeh-Götzen huldigen?

Menschen sehen sich selbst gerne als das, was sie gerne wären, die Fotografen sind hier die Helfershelfer bei diesem Selbstbetrug – und lassen sich das bisher recht gut bezahlen. Gerade war ja eine heftige Debatte über das neue iPhone entbrannt, das diese Verschönerung zwangsweise bei den Portraits vornimmt. Ein ungeschöntes Bild ist da noch nicht mal mehr tolerabel, die absolute Tiefenschärfe dieser kurzbrennweitigen Handykameras wird mit Software und anderen Tricks eliminiert und ein Pfund Glas und offene Blenden dazugerechnet. Mit mehr oder weniger Erfolg – Puristen schüttelt es oft noch aufgrund dieser Bildergebnisse, aber das ist wie mit dem Erdbeeraroma: Die meisten Leute kennen keine echten Erdbeershakes mehr und wollen das satte Rosa und den knalligen Geschmack.

Wir wollen hier über die echten „Früchte“ reden, die noch richtig Optik-Bio sind, also das, was durch die Optik kommt, auf den Sensor oder den Film transportieren und dort die Magie erzeugen, die man bei guten Portraits finden kann. Wenn man es einmal gesehen hat, schmecken die künstlichen Bilder nicht mehr; nix gegen Burger, aber so eine komplexe Bouillabaisse mit Hunderten …


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