KI als Werkzeug

„Die Zukunft der Fotografie wird von KI-Bildgeneratoren definiert“, meint der Fotokünstler, Digitalberater und Hochschullehrer Boris Eldagsen.

Boris Eldagsen im Selbstportrait

digit! Autor Peter Schuffelen unterhielt sich mit Eldagsen über dessen Experimente mit bildgebenden KI-Verfahren, die Zukunft der fotografischen Zunft, die Frage, warum sich eigentlich jeder mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen sollte und warum Eldagsen diese disruptive Technologie mit offenen Armen begrüßt.

Herr Eldagsen, seit letztem Sommer haben Sie intensiv mit bildgebenden KI-Verfahren experimentiert. Ein gutes halbes Jahr später gelten Sie als Experte, halten Vorträge, veranstalten Workshops. Ist diese rasante „Expertenwerdung“ ein Sinnbild für die rasante Entwicklung der Technologie insgesamt?

Boris Eldagsen: Das kann man so sagen. Die künstliche Intelligenz sprintet mit Sieben-Meilen-Stiefeln voran, praktisch jede Woche tauchen neue, perfomantere, die Kreativität beflügelnde Features in den einschlägigen Programmen auf. Das Tempo ist atemberaubend.

Skizzieren Sie die bisherige Entwicklungsschritte doch mal im Schnelldurchlauf.

BE: Gestartet ist die Technik mit den GANs, einfach gesagt, zwei Recheneinheiten, die sich in einem Trial-and-Error-Prozess einem gewünschten Ergebnis nähern. Das war beeindruckend, wie Seiten wie „This person does not exist“ bereits vor ein paar Jahren gezeigt haben. Inzwischen sind wir technologisch aber weiter. Dank der sogenannten Diffusionsmodelle sind wir beim „Text to image“: Sprache wird sozusagen auf Knopfdruck Bild.

In einfachen Worten: Wie muss man sich das technisch vorstellen?

BE: Ich gebe Begriffe – sogenannte „Prompts“ – ein, die von einfach Wörtern bis zu Gefühlsbeschreibungen reichen können, und die KI löst ein passendes Bild aus dem Trainingsarsenal des KI-Programms zunächst in weißes Rauschen auf und baut dann entlang der Prompts ein neues Bild.

Viele Ihrer KI-Arbeiten wirken albtraumartig. Man fühlt sich erinnert an den surrealistischen Film wie „Ein andalusischer Hund“ oder an David Lynchs „Eraserhead“. Teils sieht man undefinierbare organische Strukturen, die aussehen, als hätte Hieronymus Bosch Photoshop in die Finger bekommen. Man möchte wegschauen, kann aber nicht.

BE: Faszinierend, oder? Ich komme noch aus der Zeit der Dunkelkammer und habe viel mit Verfremdungen analogen Bildmaterials gearbeitet. Diese Bilder hätte ich aber wohl mit keiner der bestehenden Technologien generieren können.

Allgemeinverständlich formuliert: Wie sind diese Bilder entstanden?

BE: Ich habe verschiedene AI-Programme – darunter das kommerzielle Programm DALL-E 2 oder das Open-Source-Programm Stable Diffusion – einem kreativen Stresstest unterzogen. Ich habe versucht, die Grenzen der programminternen Zensur auszuloten, etwa indem ich mit Umschreibungen gesperrter Wörter, die KI dazu brachte, Bilder zu generieren, die ihre eigenen Guidelines verletzten. Irgendwann bin ich dann gesperrt worden, habe einen neuen Account genutzt und mit Nonsense-Prompts gearbeitet – etwa mit falsch geschriebenen Wörtern, semantisch unsinnigen oder mit Schachtel-Sätzen, bei denen sich Subjekt und Objekt nicht mehr unterscheiden lassen. Inzwischen verstehe ich das kreative Arbeiten mit Prompts als eine eigene Kunst.

Dass eine Maschine und nicht der Mensch Bildinhalte generiert, scheint Sie nicht zu schrecken – im Gegenteil: Sie begrüßen diese disruptive Technologie mit offenen Armen. Warum?

BE: Sie macht einen Heidenspaß. Die Ergebnisse sind – wenn man Zeit investiert und klug vorgeht – frappierend. Es eröffnen sich neue kreative Räume.

Fehlt Ihnen die Interaktion mit der natürlichen Welt und den Menschen nicht?

BE: Ich gehe natürlich immer noch raus, ich fotografiere beispielsweise regelmäßig nachts auf der Museumsinsel, immer an derselben Stelle, und es wird nie langweilig. Auch arbeite ich gerne mit anderen Menschen zusammen, die Dinge können, die ich nicht kann – das beflügelt. In der Interaktion mit der KI ist das ähnlich. Es ist eine echte Zusammenarbeit, man könnte sagen: ein Duett.

KI als inspirierende Spielwiese für Fotokünstler leuchtet uns sofort ein. Was aber bedeutet die Technologie für angewandte Fotografen? Inwieweit ist deren Geschäftsgrundlage angesichts „nicht fotografischer“ und damit von Quereinsteigern besetzbarer Geschäftsmodelle gefährdet?

BE: Einfach gesagt: Fotografen, die nah dran sind am Dokumentarischen – News- oder Hochzeitsfotografen etwa oder Corporate-Fotografen, die Geschäftsvorstände und Unternehmen porträtieren …

 


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