Eine Scheibe Ewigkeit

Polaroids waren Gebrauchsgegenstände für Wim Wenders. Über 3.000 Sofortbilder hatte er im Laufe der Jahre in hölzernen Zigarrenkisten verstaut, zog mit ihnen nach Amerika um und wieder zurück.

Schon bei seinem ersten „richtigen“ Film, „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, einer Peter-Handke-Romanverfilmung, in der es nach Wenders um nichts geht, jedenfalls nicht um Fußball, macht er reichlich Polaroids, um Szenen festzuhalten. Wenders war ein großer Hitchcock-Fan und wollte seinen Film im selben Stil drehen, nur eben ohne das etwas Dramatisches passiert (ein Kritiker nannte den Film „existenzieller Thriller“) und entwickelte die Theorie, dass ein leeres Bild dies am besten darstellt. Die schwarzweißen Polaroids aus dieser Ära mussten noch mit einem stinkigen Stift fixiert werden, was Wenders nur unwillig machte. Viele seiner Polas aus der Zeit haben eine deutliche Patina. Ein Filmpack mit 10 Bildern war nicht billig, sodass der junge Filmemacher schnell auf den Trick kam, Kopien selber zu erzeugen. Das frisch entwickelte Pola presste er auf ein Stück Papier und setzte sich darauf. Fertig war die blassere, abgedrückte Kopie. Oft überlebte nur diese, da die Originale der Maskenbildnerin ausgehändigt wurden und oft im Produktionsprozess verschwanden.

Annie Leibowitz und „Alice in den Städten“

Wenders hatte drei Filme gedreht und schrieb in New York am vierten, „Alice in den Städten“. Und im Gegensatz zu den vorangegangenen wollte er keinem cineastischen Vorbild wie Casavates oder Hitchcock huldigen, sondern einen echten Wenders machen. Oder das Filmemachen ganz lassen, um wieder Filmkritiken zu schreiben oder zur Malerei zurückzukehren. Das Drehbuch nahm konkrete Formen an, bis Wenders in einer Pressevorführung „Paper Moon“ von Peter Bogdanovich sah. Die Geschichte eines Mannes, der mit einem kleinen Mädchen auf Reisen ist. Wenders war entsetzt, hatte Bogdanovich doch exakt seine Idee verfilmt und vor ihm ins Kino gebracht. Per R-Gespräch nach Deutschland blies er frustriert den bereits finanzierten Film ab. Abends setzte Wenders sich in Max‘s Kansas City, einem Szenetreff in der Park Avenue hin, um bei einem Hamburger die Idee, Filme zu machen, aufzugeben. Er saß alleine an seinem Tisch, als eine junge Frau kam und nach dem freien Stuhl fragte. „Klar, ich bin alleine und erwarte auch niemanden“, murmelte Wim. Die Frau griff den Stuhl. Nach ein paar Minuten kam sie zurück und fragte: „Was sind Sie eigentlich für einer? In diesem Laden gibt keiner zu, dass er auf niemanden wartet.“ Er entgegnete, er sei ein deutscher Ex-Filmemacher an seinem letzten Abend in New York. Sie schrieb eine Telefonnummer und den Namen, Annie, auf eine Serviette und lud ihn ein, vorbeizukommen, sollte es ihn nach San Francisco verschlagen. Das Pacific Film Institute veranstaltete im kalifornischen Berkeley eine kleine Retrospektive seiner Filme, an der Wenders teilnahm. Von dort aus rief er Annie an und besuchte sie zu Hause in North Beach, San Francisco. Sie saß am Boden inmitten eines riesigen Stapels mit Fotografien.

Es handelte sich um die 22-jährige Annie Leibowitz, die Cheffotografin des Rolling Stone. Sie nahm den immer noch desillusionierten Wenders mit auf einen Road-Trip nach Los Angeles, und…


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