Am kalten Polar

Als Expeditionsfotografin des Alfred-Wegener-Instituts gelingt Esther Horvath der Spagat zwischen dokumentarischer Akkuratesse und vielschichtiger Erzählweise.

Foto aus der Portraitserie „Women of Arctic Science“

Esther Horvath hat sich auf die Polargebiete spezialisiert und eine interessante Technik für ihre Lebensplanung entwickelt. Immer, wenn sie große Entscheidungen treffen muss, befragt sie ihr künftiges Ich. „Ich stelle mir mich dann als 85-Jährige vor, die auf einer Terrasse steht und auf ihr Leben zurückblickt. Und wenn diese 85-Jährige mir dann sagt ‚Mach‘ diesen Schritt, sonst wirst du es am Ende deines Lebens bereuen‘, dann folge ich ihrem Rat“, sagt Horvath. Sie ist 43.

Der Kunstgriff mit der Retrospektive auf das eigene Leben hat mindestens einmal bestens funktioniert. Nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften hatte die gebürtige Ungarin einen gut bezahlten Job in einer Logistikfirma in Wien. Ursprünglich hatte sie Buchillustratorin werden wollen – wozu ihr wegen finanzieller Bedenken aber der Mut fehlte.

Eines Tages bekam sie eine Kamera geschenkt, stellte fest, dass man mit diesem Medium ebenfalls Geschichten erzählen kann, und fasste einen Entschluss, der ihr Leben verändern sollte. „Ich wollte Dokumentarfotografin werden, habe recherchiert und festgestellt, dass die beste Schule für dokumentarische Fotografie das International Center of Photography in New York ist“, sagt Horvath. „Allerdings ist die Schule auch ziemlich teuer, und natürlich wusste ich nicht, ob mein Karriereplan aufgehen würde. Trotzdem habe ich alles aufgegeben, mein Leben in zwei Koffer gepackt und all meine Ersparnisse in diese Ausbildung gesteckt.“

Alles auf eine Karte

Ihr Wagemut sollte sich auszahlen. Horvath machte ihren Abschluss in Dokumentarischer Fotografie und Fotojournalismus, gewann mehrere Fotowettbewerbe, realisierte bald Reportagen für „National Geographic“ oder das „Wall Street Journal“. 2015 erhielt sie dann von einem amerikanischen Magazin den Auftrag, zwei Wochen mit einem Schiff der amerikanischen Küstenwache in die Arktis zu reisen. „Das war das berühmte ‚Once in a lifetime assignemt‘, das meinem Leben eine neue Richtung gegeben hat“, sagt Horvath, die ab diesem Zeitpunkt mittlerweile fünfzehn Expeditionen in der Arktis und in der Antarktis begleitet hat.

Schnell war die Fotografin fasziniert von den polaren Regionen, von der Stille, der rauen Natur, der Kälte, den kontinuierlich sich verändernden Eisformationen. Bald war ihr klar, dass sie vor allem in diesem Teil der Welt arbeiten wollte. Dann lernte sie die damalige Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) kennen, das sich auf die Erforschung der Polargebiete und der sie umgebenden Meere spezialisiert hat.

Ab 2015 begleitete sie freiberuflich mehrere AWI-Expeditionen; seit 2018 arbeitet sie fest angestellt für das Institut. Ende 2019 brach sie zu ihrem bislang größten Abenteuer auf: als Teammitglied der MOSAiC-Expedition, der bislang größten Forschungsexpedition, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die komplexen Klimaprozesse der zentralen Arktis zu untersuchen, die globalen Klimamodellen zu verbessern und so zu verlässlicheren Klimaprognosen beizutragen.

Fast vier Monate verbrachte sie auf dem zentralen Expeditionsschiff „Polarstern“ und dokumentierte die Arbeiten der Expeditionsmitglieder, aber auch das Leben an Bord des Eisbrechers. Das …

 


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