Weniger ist alles

Karen Irmers Landschaftsanschauungen schweben zwischen Still Life und Bewegtbild und entfalten eine meditative Qualität.

„VISUAL KOAN“ von Karen Irmer

Karen Irmer ist Mitglied der „Cloud Appreciation Society“, einer Gesellschaft, die – nicht ohne Selbstironie – die Sonne links hängen lässt und lieber die Wolken anbetet. Ihr Vereinseintritt war gewissermaßen eine Antwort auf eine Frage, die man ihr vor ein paar Jahren stellte: Warum in aller Welt zieht es dich auf diese wolkenverhangene, neblige irische Insel? Karen Irmers Antwort auf solche Fragen ist simpel. Die Wetterlagen im Norden seien interessanter für das, was sie suche: die Reduktion, das langsame Licht, die langsamen Sonnenauf- und Untergänge. Zwischenstadien, Übergänge, minimalistische Veränderungen, die sich erst im Zeitverlauf erschließen, stehen im Zentrum ihrer Arbeiten. Für diesen „ZUSTAND DER VERÄNDERUNG“, wie eine ihrer jüngeren fotografischen Werkserien heißt, reist sie vorzugsweise nach Norden – nach Lappland, Schottland, Irland, ins Baltikum etwa oder auf entlegene Inseln, auf denen Nebel und Wolken die Herrschaft innehaben.

Eine ihrer Videoinstallationen, die irgendwo dort in den Schlechtwettergefilden entstanden ist (wo genau, das erfährt man nicht, denn darum geht es ja gerade: um die Abstraktion des Orts bis zu seiner Unkenntlichkeit), trägt den Titel „NAAB“. Man sieht eine taubenblaue Wasseroberfläche, Nebel, silbriges Licht, Nebelschwaden, die kommen und gehen, leise Wellen, die, je länger man auf sie blickt, ihren Lauf immer weniger preisgeben, und ein fast überirdisches Glimmern. Und dann, nachdem man fast 19 Minuten dieses klanglose Videostill betrachtet hat, schwebt vom rechten Bildrand her ein Objekt oder vielmehr Subjekt ins Bild, eine Ente womöglich oder ein Schwimmer vielleicht, um Minuten später wieder aus dem Bild zu verschwinden. Eine magische Arbeit – wenn man sich die Zeit nimmt, um das zu tun, was wir alle immer weniger tun: einfach schauen.

Eintauchen, abtauchen, die Zeit vergessen

Kleinste Veränderungen im Zeitverlauf, wie man sie aus der Minimal Music kennt, sich wiederholende Muster, die ihren Sog durch minimale Verschiebungen entfalten und ein Gefühl der Zeitlosigkeit, des Sich-selbst-Vergessens, erzeugen. Die Oberfläche verweist dabei, wie oft in Irmers Arbeiten, auf romantische Motive, auf nebelverhangene Bäume oder Wasserlandschaften beispielsweise. Romantisierend sind diese Arbeiten aber nicht, im Kern könnte man sie eher als „antiromantisch“ bezeichnen, denn sie haben nichts von der Gravität des kunsthistorischen Genres, sie stehen und schweben für sich, getragen allein durch den Blick des Betrachters.

In einer ihrer jüngeren Videoinstallationen treibt sie diesen Effekt des Eintauchens ins Bild auf die Spitze: Für „VISUAL KOAN“, (sinngemäß etwa: etwas sehen, was der der Verstand nicht aufzulösen vermag), hat sie erstmals mit einer 360-Grad-Videokamera gearbeitet. Die eigentliche Immersion erfährt der Betrachter erst, wenn er eine VR-Brille aufsetzt.

Dass dieser minimalistische Flow nicht nur in reinen Videoinstallationen funktioniert, sondern auch im multimedialen Wechselspiel mit fotografischen Stills, zeigen hingegen Werkserien wie „BETWEEN“. Zu sehen sind vier Bilder. Drei Fotografien, die auf metallischem, aber mattem Papier auf Alu-Dibond kaschiert sind und sich – je nach Blickwinkel oder Sonnenstand – allmählich in ihrer Anmutung verändern und zu bewegen scheinen. Sowie ein auf den ersten Blick kaum davon unterscheidbares, sachtes animiertes Bewegtbild, das per Beamer auf eine identische Alu-Dibond-Fläche projiziert wird. Der Effekt: Die Grenzen von Video und Still verschwinden.

Landschaften als atmosphärische Bilder von Innenwelten. Naturversenkung. Existenz als Zustand des permanenten Übergangs. Zen-Meisterin des digitalen Zeitalters. Attribute, die der Künstlerin und ihren Bildern verliehen wurden. Irmers besondere Herangehensweise lässt sich zum Teil aus dem Spannungsfeld zwischen ihren malerischen und lichtmalerischen Wurzeln erklären. Eigentlich hatte sie Malerei studieren wollen, war dann auf Anraten ihres Professors aber zur Kamera gewechselt – und gegen den Willen des Nachfolgeprofessors …

 


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